Pestizide

Oder wie es in der Landwirtschaft heißt: Pflanzenschutzmittel (PSM). Darunter z.B. Herbizide, Fungizide, Insektizide und Wachstumsregler. Sie schützen einerseits den Pflanzbestand vor Schaden – verunsichern andererseits aber auch die Bevölkerung.

Aber wer fragt schon die Landwirte, was sie da eigentlich aufs Feld spritzen und was es mit Mensch und Natur anrichtet?

Wir konfrontieren Ackerbäuerin Lena mit den populärsten Vorurteilen.

 

 

Vorwurf #1:
Die Bauern vergiften die Böden und das Grundwasser!

 

 

Vorwurf #2:
Gespritzt wird natürlich immer nachts, damit es niemand merkt!

Nachts herrschen meist einfach die besten Bedingungen, da es eher windstill und kühler ist und die Sonneneinstrahlung fehlt. Windstille bewirkt dass die Abdrift so gering wie möglich ist und mehr Pflanzenschutzmittel auf die Zielfläche gelangt. Zudem werden viele PSM über die Blattoberfläche der Pflanzen aufgenommen. Höhere Luftfeuchtigkeit und geringe Sonneneinstrahlung sind hierfür förderlich. Und durch eine bessere Aufnahme des PSM wird die Wirksamkeit gesteigert, sodass weniger PSM eingesetzt werden müssen.

 

 

Vorwurf #3:
Bauern wissen wahrscheinlich selbst nicht, was sie da spritzen!

Wer Umgang mit Pflanzenschutzmitteln hat, es verkauft und dazu berät, muss einen Sachkundenachweis haben. Diesen erlangen die meisten Landwirte i. d. R. im Zuge ihrer Ausbildung. Ich musste dafür im Studium extra bestimmte Fächer belegen wie „spezielle Phytomedizin“, „Pflanzenschutz“ und „Pflanzenschutztechnik“. Jedes dieser Fächer habe ich ein Semester lang besucht und in jedem Fach eine Prüfung absolviert. Darüber hinaus muss ich alle drei Jahre eine Fortbildung absolvieren um immer auf dem aktuellsten Stand zu bleiben. Absolviert man die Fortbildung im vorgeschriebenen Turnus nicht, verliert man seine Sachkunde. Der Sachkundenachweis ist eine kleine Checkkarte aus Plastik, ähnlich wie der Führerschein, den man auf Verlangen beim Kauf von PSM ggf. vorzeigen muss. 

 

Vorwurf #4:
Kontrolliert doch eh keiner, wer da was spritzt!

Die Zulassung von Wirkstoffen und Pflanzenschutzmitteln unterliegt einem aufwändigen und komplexen zweistufigen Prozess. Die werden z.T. ähnlich wie Arzneimittel für Menschen, sehr streng, genau und langwierig untersucht und bewertet. 

Die reinen Wirkstoffe, die in den PSM enthalten sind, erhalten ihre Zulassung durch die EU-Kommission. Die Prüfkriterien und Methoden für diese Bereiche sind in EU-Verordnungen und in umfangreichen technischen Leitfäden beschrieben, die regelmäßig an den wissenschaftlichen Fortschritt angepasst werden.

Die fertig formulierten PSM (die Handelswaren) müssen in Deutschland anschließend auch noch zugelassen werden. Das wird von Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit übernommen. Das BVL beteiligt das Bundesamt für Risikobewertung, das Umweltbundesamt und das Julius-Kühn-Institut am Prozess. Diese geben jeweils ihre Bewertung in Bezug auf die Toxizität, Einfluss auf Gesundheit von Mensch und Tier und den Naturhaushalt, die Wirksamkeit, die Pflanzenverträglichkeit sowie die praktische Anwendbarkeit und deren Nutzen ab. Eine Zulassung gilt dann zunächst für 10 Jahre. Gibt es Erkenntnisse darüber, dass es ggf. doch nachteilige Auswirkungen durch ein PSM gibt, wird es neu bewertet und kann seine Zulassung auch verlieren. 

Zudem regelt in Deutschland das Pflanzenschutzgesetz alles weitere, was in Zusammenhang mit dem Handling von PSM steht. Daneben gibt es noch diverse weitere Verordnungen wie z.B-. die Pflanzenschutzgeräte-VO, Pflanzenschutz-Anwendungs-VO, Pflanzenschutzmittel-VO, Pflanzenschutzsachkunde-VO, Bienenschutz-VO und viele mehr. 
Die Kontrolle dieser unzähligen Verordnungen sowie etwaiger Anwendungsbeschränkungen/ -auflagen unterliegt in Deutschland den einzelnen Bundesländern, idR durchgeführt von der jeweiligen Landwirtschaftskammer. 
Bei den unangekündigten Kontrollen wird z.B. die Dokumentation der Pflanzenschutzmaßnahmen (Wann, was, wo, in welcher Kultur, von wem, zu welchem Zweck) begutachtet oder die korrekte Lagerung von PSM wird überprüft. Welche PSM sich im Bestand befinden (Mittel mit abgelaufener Zulassung sind verboten), ob die Pflanzenschutzspritze ihren TÜV hat, ob ein Sachkundenachweis vorliegt etc.

 

 

Vorwurf #5:
Wer Pflanzenschutzmittel braucht, hat keine Ahnung von Ackerbau.

Ein gutes Pflanzenbaumanagement ist das A und O im Ackerbau. Grundsätzlich muss man alles dafür tun, der Pflanze auf dem Feld ein optimales Lebensumfeld zu schaffen, um auf möglichst viel „Chemie“ verzichten zu können. Das beginnt bei der Auswahl der richtigen Kultur: Welche Kulturen passen am besten zu meinem Standort und meine Bodengegebenheiten. Wo kann sich welche Frucht am besten etablieren und hat den geringsten Stress. 

Dann die Sortenwahl: Die moderne Pflanzenzüchtung schafft es zunehmend gesunde und gegenüber einigen Schaderregern tolerante Sorten zu entwickeln. Lange war ein hoher Ertrag das wichtigste Sortenkriterium, das shiftet jetzt zunehmend zur Auswahl gesunder/stresstoleranter Sorten. 

Fruchtfolge: Gestaltung einer abwechslungsreichen Fruchtfolge, in der sich die einzelnen, jährlich angebauten Früchte möglichst positiv beeinflussen. Dazu zählt auch die Auswahl von hochwertigen Zwischenfruchtmischungen.

Mechanischer Pflanzenschutz, noch bevor es zum Einsatz von chemischen PSM kommt. Pflügen bedeutet idR einen „reinen Tisch“ vor der Saat zu bereiten, weil Ausfallgetreide, Unkräuter und Unkrautsamen tief untergepflügt werden. Oft kann hierdurch ein bisschen PSM gegenüber Mulch- oder Direktsaatverfahren eingespart werden. Allerdings hat das Pflügen auch Nachteile in Bezug auf die Beschaffenheit des Bodens und das Verursachen von Emissionen. Aber auch mit Geräten wie Hacken und Striegeln lassen sich Unkräuter in Schach halten. 

Beratung: Viele Landwirte beziehe unterschiedliche Beratungsangebote bei der Gestaltung ihrer Pflanzenschutzstrategie und der Handlungsentscheidung mit ein und stellen dadurch sicher, dass auch neue Erkenntnisse aus Versuchen und Wissenschaft berücksichtig werden. So verschicken z.B. das Pflanzenschutzamt und andere Beratungsinstitutionen regelmäßig Rundschreiben in denen relevante Informationen zu aktuellen Themen in der Anbauperiode zusammengefasst sind.  Viele Landwirte sind auch in Arbeitskreisen zusammengeschlossen und treffen sich im Frühjahr mit Beratern regelmäßig im Feld um sich untereinander auszutauschen, Bestände anzuschauen und gemeinsam zu beraten, welche PSM Maßnahmen sinnvoll sind, welche nicht, wer womit schon welche Erfahrungen gesammelt hat etc.  Auch online Warndienste können eine gute Entscheidungshilfe sein, wann eine PSM Maßnahme erfolgen muss oder nicht. Hier werden anhand wetterbasierter Daten Prognosemodelle für die Ausbreitung bestimmter Krankheiten erstellt. Diese sensibilisieren Landwirte und verbessern eine gezielte Bestandskontrolle. 

Alles in allem kann man also sagen, dass ein umfangreiches, gutes Pflanzenbaumanagement, die Vitalität des Pflanzenbestandes stärkt, wodurch sich Pflanzenschutzmittel einsparen lassen. 
Aber auch hier gibt es Grenzen. Zum einen z.B. durch arbeitswirtschaftliche Faktoren: Ein Pflanzenbaumanagement ohne PSM erfordert meist mehr Arbeitsstunden je Hektar. Da Fachkräfte auch in der Landwirtschaft knapp sind, ist das auf manchen Betrieben hier der begrenzende Faktor.

Eine gute fachliche Praxis bedeutet für jeden Landwirt vor JEDER PSM Maßnahme alle bestehenden Möglichkeiten in Betracht gezogen zu haben und individuell abzuschätzen, welche Maßnahme mit welchem Mittel wann erfolgen muss. Es gilt IMMER: So viel wie nötig so wenig wie möglich. 

 

 

Vorwurf #6:
Bei Pestiziden lautet euer Motto „Viel hilft viel‘‘

Bei jeder Maßnahme wird genau geschaut, ob sie nötig ist oder nicht. Niemand ist daran interessiert zu viel PSM auszubringen, denn das kostet viel Geld und Zeit und hilft der Pflanze nicht weiter.

Außerdem gilt das Schadschwellenprinzip: Landwirte kontrollieren ihre Felder regelmäßig auf Krankheiten und Schädlinge. Für viele Krankheitserreger und Schädlinge gibt es bestimmte Schadschwellen, ab wann sich eine Behandlung mit PSM lohnt und wann noch nicht. Erst wenn eine ganz konkrete Schadschwelle erreicht ist, fährt der Landwirt mit der Pflanzenschutzspritze los, weil erst dann ertragsrelevante Verluste drohen. Eine unnütze Pflanzenschutzmaßnahme ist reine Geldverschwendung.

 

 

Vorwurf #7:
Eure Pestizide landen auch in meinem Garten!

Pflanzenschutzmittel werden mit Hilfe einer Pflanzenschutzspritze ausgebracht. Im Tank der Spritze Wasser und PSM gemischt, wobei Wasser immer den Großteil der Spritzbrühe ausmacht. Über Düsen wird die Spritzbrühe in kleinen Tropfen 25 bis 50 cm über den Pflanzen ausgebracht. Heutzutage sind die meisten eingesetzten Düsen stark abdriftmindernd, sodass so wenig PSM wie möglich auf Nicht-Zielflächen gelangt. 
Außerdem sind moderne Spritzen GPS gesteuert. Sie können auf den cm genau spritzen, wodurch Überlappungsbereiche vermieden werden können. Dadurch wird auf der gleichen Grundfläche auch weniger PSM eingesetzt. 

Außerdem muss die ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit von Pflanzenschutzgeräten in regelmäßigen (2-jährigen) Abständen von Fachleuten kontrolliert werden. Der sog. Spritzen-TÜV. Dabei wird überprüft, ob die Spritzflüssigkeit gleichmäßig durch alle Düsen ausgebracht wird, ob alle Düsen verschleißfrei sind und ordentlich funktionieren. Ob die gewollte Menge an Spritzflüssigkeit ausgebracht wird, dass es keine Leckagen gibt, etc. 

Lena Bergmann

Die Ackerbäuerin hat einen Master in Agrarwissenschaften und kürzlich den Betrieb ihrer Eltern übernommen, den sie nun in 8. Generation fortführt.

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